HIV/AIDS
Betroffenheit von Kindern in Afrika


Mehr als 14 Millionen Kinder unter 15 Jahren haben einen oder beide Elternteile durch Aids verloren. Alleine in Afrika südlich der Sahara gibt es 11 Millionen Aidswaisen. Es wird geschätzt, dass diese Zahl bis zum Jahr 2010 auf mehr als 40 Millionen ansteigen könnte (UNAIDS/UNICEF 2002, UNFPA 2002). In Südafrika sind 13% aller zwei- bis 14-jährigen Kinder entweder Halb- oder Vollwaisen (HSRC 2002). Waisenkinder, vor allem Mädchen, haben außerdem häufig ein erhöhtes Risiko der (sexuellen) Ausbeutung und daher auch der HIV-Infektion.

Durch die stark zunehmende Zahl der Waisenkinder und der Aids-Sterbefälle sind vielerorts die Großfamilien, die in den traditionellen Gesellschaften die Waisenkinder versorgten, nicht mehr in der Lage, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Daher sind viele Kinder oft schon im Alter von acht bis zehn Jahren gezwungen, für ihre jüngeren Geschwister und sich selbst zu sorgen. In Sambia werden schätzungsweise 15% aller Haushalte von Kindern geführt.

Viele Waisenkinder werden von ihren Großeltern versorgt, die jedoch ihrerseits eigentlich auf die Versorgung durch die erwachsenen Kinder angewiesen wären, weil in den armen Ländern zumeist keine Altersversorgung durch Pensionen und Renten existiert. Die Großeltern sind zudem durch ein langes Arbeitsleben erschöpft sowie durch den Aidstod ihrer eigenen Kinder psychologisch belastet. Von Kindern und Großeltern geführten Haushalten mangelt es an der notwendigen Arbeitskraft und den Ressourcen, um eine ausreichende Nahrungsmittelversorgung, Erziehung und Ausbildung der Kinder zu gewährleisten.

Straßenkinder sind Kinder, die entweder kein Zuhause mehr haben oder die es vorziehen, auf der Straße zu leben, weil die Verhältnisse in ihrem Zuhause nicht erträglich für sie sind. Davon sind überwiegend Jungen betroffen, jedoch auch eine unbekannte Zahl von Mädchen. Straßenkinder gibt es vor allem in den großen Städten in Afrika, zunehmend jedoch auch in den ländlichen Gebieten. Schätzungen zufolge sind es Zehntausende in Städten wie Nairobi und Lusaka. Jungen und Mädchen, die auf der Straße leben, sind einem erhöhten Risiko für das Erleiden von (sexueller) Gewalt und Drogenkonsum ausgesetzt und sind daher besonders verletzlich für eine HIV-Infektion.

Für die betroffenen Gesellschaften entstehen gravierende Folgen durch die zunehmende Zahl an Waisenkindern. Die ungenügende Sozialisation/Eingliederung in die Gesellschaft führt zu einem Anstieg der Kriminalität, der Prostitution, und zu mangelndem Nachwuchs an ausgebildeten Fachkräften in allen gesellschaftlichen Bereichen mit folgender Minderung des Wirtschaftswachstums, Verelendung usw. In Ländern mit hoher HIV-Prävalenz sind die Zukunftsaussichten von allen Kindern erheblich eingeschränkt. HIV ist eines der größten Hindernisse zur Verwirklichung von Kinderrechten (UNICEF 2001).

Zusammenhang zwischen Armut und Aids

Armut fördert die Ausbreitung von HIV und verstärkt die Auswirkungen auf Individuen, Gemeinden und Gesellschaften. Aids ist eine direkt mit der Armut verbundene Krankheit: Sie betrifft überproportional die Menschen in den armen Regionen dieser Erde und die ärmeren Bevölkerungsgruppen in den reichen, industrialisierten Ländern.

Menschen, die in Armut leben, werden durch HIV noch weiter verarmt. Denn Verdienende sterben, Ersparnisse gehen verloren und Ausgaben für Beerdigungen und medizinische Behandlung nehmen zu. Es kommt zu einem Teufelskreis: Die Armen haben weniger Zugang zu Behandlung und Pflege bei chronischer Erkrankung, sie verlieren ihr geringes Einkommen und haben damit noch weniger Zugang zu Ressourcen. Dadurch haben sie ein höheres Risiko der HIV-Infektion. Davon ist auch die nächste Generation noch betroffen: Zum Beispiel sind Mädchen durch mangelnde Ausbildung und folglich niedrigeren sozialen Status anfälliger für kommerziellen Sex und andere Situationen, die ein erhöhtes Risiko der HIV-Infektion beinhalten.

Viele arme Länder sind von einer kleinen Zahl an hochqualifizierten Fachleuten in wichtigen Bereichen abhängig. In den am meisten betroffenen Ländern stirbt eine große Zahl dieser gut ausgebildeten Leute. Zum Beispiel sind in Kenias Agrarministerium 58% der Todesfälle durch Aids bedingt (FAO 2001). Wichtige Dienstleistungen, wie Gesundheitswesen und Schulen, werden durch HIV beeinträchtigt. Gleichzeitig entsteht jedoch eine größere Beanspruchung dieser Dienstleistungen durch die HIV-Epidemie und die traditionellen Sicherungssysteme, wie die Großfamilien, werden in ihren Funktionen eingeschränkt.

Durch chronische Erkrankung und Tod von Menschen in ihren produktivsten Jahren hat Aids schwerwiegende Auswirkungen auf die betroffenen Gesellschaften: durch Unterminierung des sozialen Zusammenhalts und Bedrohung der sozialen und politischen Stabilität sowie Verringerung der ökonomischen Leistungsfähigkeit und des Wachstums eines Landes. Die Epidemie verlangsamt das wirtschaftliche Wachstum erheblich: In den 90er Jahren reduzierte Aids das Pro-Kopf-Wachstum in Afrika um 0,8%. Es wird geschätzt, dass in den am meisten betroffenen Ländern dieses Wachstum bis 2020 um 20-40% geringer sein wird, als es ohne Aids wäre (UNFPA 2002).

Die negativen Folgen fördern dann ihrerseits die weitere Verbreitung von HIV/Aids und gefährden damit auch Präventions- und Behandlungsanstrengungen.

Ernährungssicherheit

Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung in den am meisten von HIV betroffenen Ländern in Afrika leben in ländlichen Gebieten. Seit 1987 sind sieben Millionen Menschen, die in der Landwirtschaft tätig sind, an Aids gestorben. Es wird erwartet, dass bis zu 25% der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte bis zum Jahr 2020 durch diese Krankheit hinweggerafft werden, was 16 Millionen Menschen entspricht (FAO 2001).

Ländliche Gemeinden tragen hohe Belastungen durch HIV, da viele HIV-Infizierte aus der Stadt in ihre Heimatdörfer zurückkehren, wenn sie der Pflege bedürfen und auch, um dort zu sterben. Da der Zugang zu Information und Gesundheitseinrichtungen auf dem Land geringer ist als in der Stadt, haben Menschen in den ländlichen Gebieten weniger Informationen darüber, wie sie sich vor einer HIV-Infektion schützen können, und sie haben im Falle der Erkrankung weniger Zugang zu Pflege und Behandlung.

Die Ernährungssicherheit von Familien, Gemeinden und Staaten ist schon beeinträchtigt und wird in zunehmendem Maß bedroht:
Frauen sind besonders betroffen, da ihre Arbeitsbelastung überproportional zunimmt und sie nach dem Tod des Ehemannes oft kein Recht auf das Land haben.

Durch die unzureichende Nahrungszufuhr werden die Gesundheit der Menschen, besonders der Kinder, und ihre Widerstandskraft gegen HIV-Erkrankungen weiter beeinträchtigt.
Die schwere Hungersnot, die im Jahr 2002 in einigen Ländern im südlichen Afrika herrschte, ist eng mit der bestehenden HIV-Krise verwoben. Über 14 Millionen Menschen waren Ende 2002 in Lesotho, Malawi, Mozambique, Swasiland, Sambia und Simbabwe vom Hungertod bedroht. Diese Katastrophe ist nicht nur durch schlechte Wetterbedingungen hervorgerufen worden, sondern auch durch politische Faktoren, wie Mangel an entsprechender Unterstützung für die Bauern, politische Instabilität usw. Hinzu kommt, dass in dieser Region auch schon mehr als eine Million Menschen an Aids gestorben sind; fast 15 Millionen sind mit HIV infiziert, viele von ihnen sind chronisch krank oder geschwächt. Verschiedene Studien haben einen direkten Zusammenhang zwischen der Hungersnot und der HIV/Aids- Epidemie nachgewiesen (Oxfam 2002).

Globales Engagement

Um der in vielen Ländern Afrikas schon bestehenden und in Osteuropa und Asien sich anbahnenden Katastrophe durch HIV/Aids zu begegnen, müssen zügig entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. Das Engagement in der Aids-Bekämpfung im globalen Maßstab ist in der Vergangenheit jedoch weit hinter den Erfordernissen zurückgeblieben. Es wurde errechnet, dass 7 - 10 Milliarden Euro jährlich für eine adäquate Aids-Bekämpfung weltweit notwendig sind (Schwartlander et al 2001). Es herrscht weitgehend Übereinstimmung, dass dieser (oder auch ein höherer) Betrag von den Entwicklungsländern nicht finanziert werden kann, sondern dass es der Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft bedarf.

Neben der Vielzahl von bestehenden Initiativen und Organisationen, die sich auf dem Gebiet der Aidsbekämpfung engagieren, braucht es zunehmend auch globale Instrumente, um dieser globalen Herausforderung begegnen zu können. Ein wesentliches Finanzierungsinstrument stellt der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria dar. Im Januar 2002 wurde diese Organisation mit Sitz in Genf gegründet. Der Globale Fonds hat bis Februar 2003 3,3 Milliarden US$ an Zusagen erhalten und bereits 1,5 Milliarden US$ für 160 Programme in 85 Ländern bewilligt. Trotz dieser Anstrengungen sind auch diese Mittel noch völlig unzureichend, um allen Menschen auf der Welt Zugang zu Aufklärung, Prävention und menschenwürdiger Behandlung zu verschaffen.

Nur ein radikales Umdenken und eine Änderung der politischen Prioritätensetzung sowohl in den wohlhabenden Industrieländern als auch in den von Aids am meisten betroffenen Entwicklungsländern kann eine Entwicklung verhindern, deren Konsequenzen wir erst zu erfassen beginnen.

Informationen aus der:
Zeitschrift Behinderung und Dritte Welt
Wintgenstr. 63, 45239 Essen